top of page

Der Tag der Diagnose

  • Autorenbild: Amrei
    Amrei
  • 28. Feb. 2022
  • 4 Min. Lesezeit

Und plötzlich steht es da. Schwarz auf weiß... doch was eigentlich?

Zahlen, Fachbegriffe, Untersuchungsergebnisse, Wörter, deren Bedeutung nicht immer ganz so einfach einzuordnen sind. Doch eins ist klar: mein, UNSER, Kind ist behindert.

"Haben Sie noch Fragen?"

Die Frage steht etwas leer im Raum der humangenetischen Praxis.

Ja, ganz viele... aber nein, irgendwie gerade auch nicht... ich weiß es nicht... in meinem Kopf herrscht laute und verwirrende Leere.

Leere, die so voll und laut ist, dass sich alles gerade einfach nur taub und verwirrend anfühlt.


Die Suche nach Informationen beginnt

Behindert!? Gendefekt!? Was bedeutet das?

Eine ins Deutsche übersetzte Informationsbroschüre soll Aufschluss über die Chromosomenlöschung unsere Sohnes geben, uns über die Auswirkungen der Löschung informieren, Fragen klären, Ungewissheiten auffangen. Schöne Theorie! Das Informationsblatt beschreibt die Bandbreite der Chromosomenlöschung von 35 Personen weltweit. 35! Weltweit! Mehr Personen wurden bis 2005 nicht in veröffentlichten Studien erwähnt. Und dennoch ist die Bandbreite so groß: von kurzer Lebensdauer bis hohes Alter, von keinen Einschränkungen bis höchste Pflegestufe.

Wir versuchen den Vorteil zu sehen: Nichts ist in Stein gemeißelt. Alle Türen stehen unserem Sohn offen. Wir können hoffen, gemeinsam mit ihm kämpfen, therapieren, üben, versuchen, das bestmögliche zu erreichen.


Die beste Informationsquelle wurde facebook! Bei facebook gibt es tatsächlich eine Gruppe rund um diesen Gendefekt. Ein Hoch auf das digitale Zeitalter.

Googlerecherchen landeten meist im Leeren oder führten zu dem einzigen, ins Deutsche übersetzte, Infoheftchen. Auch im englischsprachigen Raum gibt es keine weiteren Studiendaten o.ä.


Unser Sohn ist heute 3,5 Jahre alt, hat einen Grad der Behinderung von 100 und dementsprechend auch eine hohe Pflegestufe. Er ist meist ein Sonnenschein, lebt jedoch oft in seiner eigenen kleinen Welt. Er kann lachen, aber nicht sprechen, sich auf dem Boden hin und her rollen und seinen Kopf stabil halten. Wir üben mit der Logopädin das Kauen um von der hochkalorischen Säuglingsmilch wegzukommen, gehen wöchentlich zur Physiotherapie und trainieren täglich zuhause seine Muskeln um den großen Meilenstein des selbstständigen Sitzens zu erreichen. An Kommunikation (reden), krabbeln und laufen denken wir aktuell nicht.


Wir haben unseren Rhythmus gefunden, kennen unsere Aufgaben und wissen, dass wir ein Leben lang kämpfen müssen. Kämpfen um Gehör, Hilfsmittel, Termine… gegen Bürokratismus, Ungerechtigkeit, Arroganz.


Es hat eine Weile gedauert, bis ich gelernt hatte, dass ich nicht nur Mama für meinen Sohn bin, sondern auch seine Therapeutin, Verteidigerin, Ärztin, sein Schutzschild, seine Sprecherin, seine Managerin, seine Kämpferin...


Waren wir nach dem ersten Schock, dem Überstehen der ersten Traurigkeit und Niedergeschlagenheit anfänglich dann doch noch enthusiastisch und positiv gestimmt, wissen wir heute, dass Eltern mit einem behinderten Kind ziemlich stark auf sich allein gestellt sind. Gut, ich möchte nicht verallgemeinern, vielleicht gibt es Familien, die mehr Unterstützung erfahren haben, das kann sein. Wir jedoch nicht.

Wir wurden zu Google-Junkies, Paragraphenreitern und Telefonisten.


Doch wie schafft man die bestmöglichen Bedingungen für sein behindertes Kind?

Was können wir tun?

Welche Optionen / Möglichkeiten gibt es?

Wer hilft uns?

Wie kann man uns, unserem Sohn helfen?

Was ist das beste für ihn?

Wir waren naiv und dachten, es würde eine (in-)offizielle Vorgehensweise geben, wenn festgestellt wird, dass ein Kind, egal in welchem Ausmaß, behindert ist.

Wir dachten, es gäbe vielleicht eine Art Flyer mit Anlaufstellen oder eine Checkliste mit Tipps und Anregungen.

Nein, das alles gibt es leider nicht!

Wie in so vielen Bereichen im Leben, wurden wir auch hier ziemlich allein gelassen.


Wo Hilfen kamen und kommen und doch nur zum Teil hilfreich sind

Ziemlich schnell (1 Monat nach Feststellung des Gendefekts und dem damit verbundenen Hinweis auf Muskelschwäche) erhielten wir vom Kinderarzt eine Verordnung zur Physiotherapie nach Bobath und eine Auflistung von Therapeuten aus der Gegend. Wir waren dankbar, dass so schnell gehandelt wurde und hofften auf das Beste.

Heute frage ich mich jedoch, warum bislang noch keiner auf die Idee kam uns Alternativen zu nennen? Wieso gibt es keine Informationen über die verschiedenen Therapiemaßnahmen (z.B. Bobath, Vojta, Ganzheitliche Therapie, Physikalische Therapie, ABR-Therapie)?

Und woran erkenne ich eine gute Therapeutin/einen guten Therapeuten?

Woher weiß ich, dass das, was dort gemacht wird, fachlich qualitativ gut ist?


SPI und Reha-/Orthopädietechnik

Große Hoffnungen hatten wir dann auch in die Spezialisten des SPZ/SPI (Sozialpädiatrisches Zentrum/Institut) gesteckt. Sitzen dort doch schließlich die Experten, wenn es um Kinder mit einer Abweichung vom „normalen“ Entwicklungsablauf geht. Rückblickend waren die meisten Besuche (alle 6 Monate) jedoch sehr ernüchternd. Wir erstatteten Bericht, wie es unserem Sohn die letzten Monate erging, welche medizinischen Maßnahmen durchgeführt wurden, welche Probleme es gibt und/oder gab, und der aktuelle Entwicklungsstand wurde von einem Arzt und einer Physiotherapeutin erfasst. Der Besuch wirkte eher wie eine Kontrolle, ob wir unser Kind auch nicht vernachlässigen. Bis zum Besuch x. Da kamen plötzlich Hilfsmittel ins Spiel. Es wurde geschaut, ob und welche Hilfsmittel zur Erleichterung des Alltags und für eine bessere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unser Sohn benötigt. Die Zusammenarbeit mit einem Reha- und Orthopädiehaus für Kinder wurde auf den Weg gebracht. Wir waren dankbar! Waren! Denn heute wissen wir, dass wir von Anfang an hätten mehr tun können/sollen/müssen!?

Der Markt an Hilfsmitteln ist tatsächlich gar nicht so klein, doch aufgezeigt werden nur die wenigsten. Auch werden nicht immer verschiedene Modelle zum Testen angeboten. Menschen sind halt „Gewohnheitstiere“ und so wird dann doch hin und wieder nach dem Motto „Das, was schon für viele vorherige Kinder passend/gut war, wird gewiss auch für ihr Kind passend/gut sein.“ gearbeitet.

Und so begannen mein Mann und ich auch hier mit der intensiven Recherche nach Hilfsmitteln, die sowohl unserem Sohn als auch uns das Leben erleichtern (könnten). Sehr empfehlenswert* ist hier die Übersicht auf der Seite finifuchs – KinderRehamittel im Alltagscheck. (https://www.finifuchs.de/)


Hilfe durch Leona

Auch wenn wir bislang über diesen Verein keinen Kontakt zu ähnlich betroffenen Eltern geknüpft haben, möchte ich ihn an dieser Stelle erwähnen und empfehlen*. Denn über diesen Verein erfuhren wir von einer sehr guten Augenärztin in Homburg (Saarland), die uns wiederum an die Spezialisten im Bereich der Augenlidschwäche in Trier vermittelte. Gemeint ist der deutsche Verein Leona e.V. – Familienselbsthilfe bei seltenen Chromosomenveränderungen (https://www.leona-ev.de/start/). * Empfehlungen durch die Gastgedanken-Familie und aus der persönlichen Erfahrung heraus.

Commenti


17903853800400660.jpg

Hi, danke fürs Vorbeischauen!

Das da auf dem Foto bin ich – Amrei.
Die, mit dem Wunsch nach Austausch und die, die den Elterntalk nach Diepholz holt.

  • Facebook
  • Instagram

Teilt eure Gedanken mit mir

Danke für die Nachricht!

© 2023 Amrei macht Elterntalk. Erstellt mit Wix.com

bottom of page